Glaube als Widerstand – Helmuth James von Moltke (1907-1945)

Glaube als Widerstand – Helmuth James von Moltke (1907 – 1945)

Thierry Wey[1]

„Von wem nehmen Sie Ihre Befehle? Vom Jenseits oder von Adolf Hitler! Wem gilt Ihre Treue und Ihr Glaube?“[2] So konfrontierte der Richter des Volksgerichtshofs Roland Freisler im Januar 1945 einen Mann, der dort gemäss eigener Überzeugung „als Christ und als gar nichts anderes“[3] stand.
Helmuth James von Moltke widersetzte sich dem Nationalsozialismus zuerst aus ethischen und politischen Überzeugungen, später auch immer mehr durch seinen christlichen Glauben.

Der deutsche Jurist, 1907 in Kreisau in Schlesien, heute Polen, geboren, fand zu einem tiefen, reflektierten und sehr persönlichen Glauben an Jesus Christus während seiner Widerstandstätigkeit im Dritten Reich. Zunächst kämpfte er in seiner Stellung am Oberkommando der Wehrmacht gegen völkerrechtswidrige Vorhaben, setzte sich als Rechtsanwalt für Opfer des Nationalsozialismus ein und verhalf vielen Juden zur Auswanderung. Ab 1940 formte sich der „Kreisauer Kreis“, eine Gruppe von politischen Denkern, die Pläne für eine Neuordnung Deutschlands nach Kriegsende machten, was in den Augen der Regierung Hochverrat war. Unter jenen Mitstreitern Moltkes befanden sich auch einige Kirchenvertreter und evangelische sowie katholische Theologen. So gelangte Moltke vom Nachdenken über den Wert des Christentums für Politik und Gesellschaft unter der Anspannung der Kriegssituation mit ihren extremen Unsicherheiten zu einem Glauben, der ihm einen sicheren Boden unter den Füssen gab, selbst als er verhaftet wurde, von seiner Familie getrennt, und seinem höchstwahrscheinlichen Todesurteil entgegensehen musste.

Anfang 1944 wurde er zunächst nur als Verdächtiger festgenommen. Doch nach dem Attentat des 20. Juli wurde der ganze Kreisauer Kreis enttarnt und Moltke begann, sich brieflich von seiner geliebten Ehefrau zu verabschieden. Ein ganzes Buch von „Abschiedsbriefen“ füllte das Paar, da sein Prozess, den sie jederzeit erwarteten, sich noch bis zum Januar 1945 hinauszögerte. Er selbst nannte das ein „Leben auf kurzfristige Prolongation“[4] und beschäftigte sich neben seiner Verteidigung, für die er sich verschwindend geringe Erfolgschancen versprach, aber doch alles Mögliche versuchen wollte, vor allem mit der Bibel und dem Gesangbuch. Diese zwei Bücher genügten ihm völlig, nachdem er sich in den ersten Monaten der Haft mit Sonderstatus (als Urgrossneffe und Rechtsnachfolger des berühmten Feldmarschalls Helmuth Karl Bernhard von Moltke half ihm sein Name) allerlei Bücher liefern liess und ein intensives Studium der Theologie, Philosophie und anderer Wissenschaften betrieb. In der ungeheuren Spannung jener kurzfristigen Verlängerung des Lebens rangen Helmuth und Freya von Moltke um seine Freilassung auf juristischem Weg sowie im Gebet. Doch sie waren so vom Vertrauen auf Gott ergriffen, dass sie die Bitte „dein Wille geschehe“ stets über alles stellten.

Was für eine enorme Stütze der biblisch fundierte Glaube war, zeigt exemplarisch Moltkes Auseinandersetzung mit dem Gebet Jesu in Gethsemane. Im Dezember 1944 schrieb er an seine Frau: „Wenn ich nicht den Kampf in Gethsemane kennte, so würde ich mich täglich in die Hölle verdammen. Aber dann sage ich mir, wenn Jesus getrauert und gezagt hat, darfst Du es ja wohl auch noch. Welche ungeheuere Realität alle diese Worte bekommen haben. Weisst Du, ich habe vordem garnicht gewusst, was Trauern und Zagen in dem Zusammenhang ist; ich habe auch nicht gewusst, was dahinter steckt, wenn er sagt ‚… ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille.‛ […] Jeden Abend wenn ich einschlafe, steht er [Jesus] ganz sichtbar vor mir, und mein erster Gedanke, wenn ich nachts oder am Morgen aufwache, ist an jenen Gang zum Galgen, den ich vielleicht in 10 oder 14 Tagen antreten muss.“[5]

Das wichtigste Bibelwort war für die Moltkes Römer 14,8. Es drückt mit unübertrefflicher Prägnanz das Vertrauen und die Hingabe an den Herrn aus, welche in einer solchen Extremsituation zwischen Leben und Tod notwendig sind. Ebenfalls im Advent 1944 Jahren schrieb er: „Mein Leben, auch wenn ich weiterleben sollte, wird immer unter dem Satz stehen: ‚Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.‘ Darum ist alles auf dieser Welt zwei-bezogen. Wenn wir am Sonntag Advent feiern, so feiern wir natürlich das Kommen des Herrn. Vielleicht kommt er in unser Leben als der, der mich befreien und erlösen wird, vielleicht als der, der mich zu sich rufen wird.“[6] Und Freya meinte sogar trotz der räumlichen Trennung: „Es ist schön, Advent so intensiv wie bisher noch nie und mit Dir, mein liebes Herz, zu begehen.“[7] Ein intensiveres Lebensende ist kaum vorstellbar als es in den weiteren Briefen bis zu Moltkes Hinrichtung am 23. Januar 1945 dokumentiert ist. Die Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit ist äusserst interessant und inspirierend.

[1] Der Autor ist Lernvikar in der Reformierten Kirche Olten und hat seine Masterarbeit an der STH Basel über die religiöse Entwicklung und Frömmigkeit Helmuth James von Moltkes in dessen letzten Monaten seines Lebens geschrieben. Die Arbeit erscheint demnächst als Buch bei Logos Editions.

[2] Brief von Helmuth James an Freya von Moltke, 11.1.45, in: Helmuth James und Freya von Moltke, Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 ‒ Januar 1945 (Hg. Helmuth Caspar und Ulrike von Moltke), München: C. H. Beck, 2011, 478.

[3] Ebd.

[4] Helmuth James an Freya, 6.12.44, ebd., 276.

[5] Helmuth James an Freya, 9.12.44, ebd., 302f.

[6] Helmuth James an Freya, 29.11.44, ebd., 260.

[7] Freya an Helmuth James, 9.12.44, ebd., 300.

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