Rummelsberger Erklärung 1967
Seit Sommer 1966 versammelten sich Pfarrer der bayerischen Landeskirche in der Diakonenanstalt Rummelsberg bei Nürnberg. Sie sahen sich in einem Abwehrkampf gegen die in die Gemeinden eingedrungene bibelkritische Theologie im Geiste Bultmanns. So entstand die „Rummelsberger Erklärung“, die mit 23 Unterschriften versehen Anfang 1967 allen bayerischen Pfarrämtern zugeschickt wurde und in Teilen der Pfarrerschaft und des Kirchenvolkes Unterstützung fand. Sie wurde zur Grundlage der Arbeit der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern“ (KSBB), der bayerischen Bekenntnisbewegung:
„Verus thesaurus ecclesiae est sacrosanctum evangelium gloriae et gratiae Dei“. (Luther, These 62)
Die Kirche, in der wir dem auferstandenen Herrn Jesu dienen, weiß sich bei der Ausbreitung der frohen Botschaft, die allen Menschen gilt, im Sinne der lutherischen Bekenntnisschriften an die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes gebunden. Zuversichtlich erwarten wir, daß der Herr Seine Kirche weiterhin durch Sein in der Bibel bezeugtes Wort erwecken und regieren wird. Wir bitten darum, der Heilige Geist möge unserer Kirche die verloren gegangene Einmütigkeit des Bekennens wiedergeben und ihr neue Vollmacht schenken zur Bezeugung des Wortes, zum Dienst der Liebe und, wo es sein soll, zum Leiden um Seines Namens willen.
Zu lange schon haben wir gezögert, den Stimmen in Theologie und Verkündigung zu widersprechen, die in der Gemeinde das Zutrauen zur Heiligen Schrift erschüttern, das der Erhörung gewisse Gebet und das persönliche Verhältnis zu Jesus, dem auferstandenen Herrn, in Frage zu stellen. In der Kirche darf nur eine solche Theologie wegweisende Bedeutung haben, die uns in letzten Anfechtungen und angesichts des Todes nicht im Stich läßt, sondern uns in der Gewißheit unseres Heils bestärkt.
Deshalb sehen wir uns jetzt genötigt, in einigen fraglich gewordenen Punkten unser Bekenntnis, auf das wir verpflichtet sind, neu zu bekräftigen.
I.
1.) Im Dank für Seine Gnade sind wir der Wirklichkeit des lebendigen Gottes gewiß. Der dreieinige Gott erweckt Seine Gläubigen dazu, Ihn über alles zu fürchten, mehr als alles zu lieben und Ihm grenzenlos zu vertrauen. Davon können uns auch die Forderungen des angeblich modernen, auf die sichtbare Schöpfung beschränkten Wirklichkeitsverständnisses und seines Wissenschaftsbegriffes nicht abbringen.
2.) Jeder Versuch des Menschen, sich selbst zu rechtfertigen oder durch „Öffnung für das Unverfügbare“ die Möglichkeit „eigentlicher Existenz“ zu ergreifen, muß an der Heiligkeit Gottes scheitern. Nur dadurch, daß Jesus uns durch Sein Leiden und Sterben mit Gott versöhnt hat, sind wir vor dem Zorn Gottes gerettet.
3.) Wir glauben, daß Gott uns mit unserem Leibe nicht dem Tod überlassen, sondern uns auferwecken wird, wie Er Jesus aus dem Grab auferweckt hat. Wir erwarten, daß der Herr wiederkommen und dem töricht scheinenden Glauben recht geben, das von Ihm abstehende Denken aber Lügen strafen wird. In freudiger Erwartung Seines endgültigen Offenbarwerdens bekennen wir Ihn als Schöpfer, Herrn und Vollender des sichtbaren und unsichtbaren Kosmos.
4.) Wenn Gott sich in Seinem Zorn und in Seiner Gnade zu erkennen gibt, erschließt Er eine Wirklichkeit, die dem Verstehen des gottfernen Menschen verschlossen ist. Gott ist in Seinem Reden nicht auf die Verstehensmöglichkeiten des Menschen angewiesen, sondern Er erleuchtet ihn zur Erkenntnis dessen, was ihm sonst verborgen ist, nämlich der Herrlichkeit Seiner ein für alle Mal geschehenen Offenbarung.
5.) Daß Gottes Wort durch die Verkündigung und die vom Herrn eingesetzten Sakramente Glauben schafft, danken wir allein dem Heiligen Geist. Die Kirche hat den Auftrag, den Inhalt des Wortes in seiner sich immer wieder von selbst erweisenden Aktualität unverkürzt zu bezeugen; sie soll aber nicht durch eine „Interpretation“, die den Inhalt verändert, das Verstehen erleichtern wollen.
6.) Die Bücher der Heiligen Schrift verstehen wir als vielfältige prophetische und apostolische Bezeugung des einen fleischgewordenen Wortes Gottes. Sie sind die vom Heiligen Geist eingegebene Quelle und Norm für alles Lehren der Kirche. Deshalb muß Wortlaut und Meinung der kanonischen Texte gewissenhaft erforscht werden. Dazu dient die historisch-kritische Methode, sofern ihre Grenzen gesehen werden; denn die Theologie hat nicht die Botschaft der Bibel zu kritisieren, sondern ihre eigenen Aussagen von der Mitte der Schrift her bestimmen und korrigieren zu lassen.
7.) Neben dem Hören und Bedenken des Wortes, durch das wir konkrete und aktuelle Weisungen erhalten, neben dem brüderlichen Austausch des Erkannten und dem Handeln im Gehorsam ist uns im Namen Jesu das kindliche Danken und Bitten erlaubt und aufgetragen. Christen wagen es auf Sein Wort hin, zu Gott Du zu sagen. Wir beten in der Zuversicht, daß der allmächtige und gnädige Gott uns erhört, wie Er es zugesagt hat.
8.) Die großen Offenbarungs- und Heilstaten Gottes in der Geschichte führen uns zur Anbetung, zu missionarischer Verkündigung und zum Bekenntnis vor einer Gott vergessenden Welt. Nicht sich der Welt gleichzustellen, ist der Kirche aufgetragen, sondern ihr die rettende Botschaft allem Widerspruch zum Trotz unverändert auszurichten. Verweltlichung ist nicht die legitime Folge, sondern bedeutet Verleugnung des christlichen Glaubens.Darin wissen wir uns in Übereinstimmung mit dem Glauben der Christenheit aller Jahrhunderte, wie er in den Bekenntnissen unserer Kirche zum Ausdruck kommt. Wir danken den theologischen Lehrern, die uns zur Erkenntnis dieses Glaubens geholfen haben.
II.
Auf Grund ihres Bekenntnisses muß in unserer Kirche eine Theologie und Verkündigung als ausgeschlossen gelten,
1.) die sich an ein Wirklichkeitsverständnis bindet, das von der in der Heiligen Schrift bezeugten Wirklichkeit des lebendigen Gottes und Seiner großen Taten absieht;
2.) die also in unkritischer Bindung an ein solches Wirklichkeitsverständnis von Gott nichts erwartet, was (über eine Sinneswandlung des Menschen hinaus) den gewohnten Lauf der Dinge durchbricht, die daher auch die Auferstehung Jesu und Seine Wiederkunft umdeutet, d.h. im überlieferten biblischen Sinne leugnet;
3.) in der die Gottheit Gottes undeutlich wird, weil sie die Heiligkeit Gottes, Seinen Zorn und Seine Souveränität übersieht;
4.) die die Gottheit Jesu unbestimmt läßt oder bestreitet, sowie durch Leugnung des Sühnopfers Christi die „Theologie des Kreuzes“ umdeutet und so der Rechtfertigung das Fundament entzieht;
5.) nach der nicht Gott selbst durch Sein Gesetz offenbart, was dem Menschen fehlt und was er deshalb braucht, sondern dieser selbst es in einer ihm möglichen Auslegung des „vorgläubigen“ Daseins erkennen kann; dadurch wird das Evangelium in ein Reden von dem, was der Mensch für heilsam hält, eingeebnet und damit verflüchtigt;
6.) die durch die Überbetonung der Verstehensfrage den Menschen zum Maßstab des Evangeliums macht;
7.) die also, statt demütig um das Zeugnis des Heiligen Geistes zu bitten, ihrer eigenen Interpretation zutraut, das Evangelium verständlich machen zu können;
8.) die in der Heiligen Schrift das sachkritisch ablehnt, was über ihr selbstgewonnenes Verständnis des Evangeliums hinausgeht oder im widerspricht;
9.) die mit der Verkennung der konkreten Forderungen Gottes auch eine materiale Ethik preisgibt;
10.) die das Gebet in Meditation und zwischenmenschlicher Kommunikation untergehen läßt, weil Gott für sie nicht personhaft ist;
11.) die in Verkennung der Heiligkeit Gottes auch Seine Anbetung im Gottesdienst als überflüssig empfindet;
12.) die durch falsche Weltlichkeit dazu führt, daß Ansporn und Vollmacht zum Zeugnis in Mission und Diakonie erlahmt und die Kirche, statt bekennende Kirche zu sein, zur Welt konvertiert und sich in ihr verliert.
Zwar können auf der gemeinsamen Basis des Bekenntnisses unserer Kirche verschiedene theologische Schulen bestehen, die in brüderlicher Auseinandersetzung um ein angemessenes Verständnis der Geheimnisse des Wortes Gottes ringen; wo aber in der angedeuteten Weise gelehrt wird, sehen wir diese Basis verlassen. Derartige Theologie und Verkündigung ist nach der Heiligen Schrift wie nach dem Bekenntnis eindeutig Irrlehre und dürfte in unserer Kirche keinen Raum haben.
Rummelsberg, den 23. Januar 1967